Milchkuhhaltung 4.0

Referent: Dipl.-ing. agr. Uwe Mohr

Die Sammlung, Überwachung und Analyse von Gesundheitsdaten aus dem Rinderstall verspricht in Zukunft durch die Vernetzung von Sensoren rund um die Kuh sowie der Datenanalyse durch Expertensystemen mit Künstlicher Intelligenz einen Innovationsschub in der tierärztlichen Betreuung.

Wie werden sich die zukünftigen Arbeitsbedingungen im Milchviehstall 4.0 gestalten?

Geht der Milchviehhalter bald mit einem Tablet oder einer Datenbrille in den Bestand? Werden ihm alle notwendigen Informationen zu seinen Kühen in Echtzeit geliefert? Selektiert eine Künstliche Intelligenz die betreffenden Tiere bereits in die Behandlungsbucht und präsentiert passende Diagnose- sowie Handlungsvorschläge?

Stehen bald zukünftig alle relevanten Herdenmanagementdaten (die medizinische Vorgeschichte des Tieres, die Veränderung des Verhaltensmusters beim Fressen, Laufen und Liegen per Kuh-Navi, die Entwicklung der Körpertemperatur per Pansenbolus und die Veränderung der Wiederkauminuten innerhalb der letzten Tage sowie zahlreiche Melkdaten) mehr oder weniger in Echtzeit als Grundlage des weiteren Handelns zur Verfügung?
Dies ist in Ansätzen bereits heute auf Betrieben vorzufinden.

Ausgangspunkt für den digitalen Rinderstall sind einzeltierbezogene Sensoren. Der Markt ist umfangreich und aufgrund einer Vielzahl von Anbietern unübersichtlich. Aktuell gibt es über 120 einzeltierbezogene Sensoren für Kühe. Landwirte haben die Wahl aus 35 Sensoren zur Brunster-kennung, 31 zur Milchanalyse, 29 zur Bewegungsaktivität, 19 zur Fütterung, 16 zum Erfassen der Körpertemperatur und 12 zur Überwachung der Abkalbung. Am weitesten verbreitet sind Beschleunigungs-, Temperatur- und Wiederkausensoren. Die erfassten Daten übertragen die Sensoren an Antennen und weiter an einen Computer. Softwareprogramme analysieren die Daten und bereiten diese grafisch und meistens verständlich für den Nutzer auf.

So können Rinderhalter und Tierärzte die Infos auf einer Onlineplattform abrufen oder erhalten eine Push-Nachricht aufs Handy. Unterscheiden lässt sich zwischen passiven Transpondern (keine eigene Energieversorgung, lange Lebensdauer, geringe Reichweite) und aktiven Transpondern (eigene Energieversorgung, eingeschränkte Lebensdauer, großer Reichweite und Echtzeitdaten).

Zudem gibt es verschiedene Befestigungsvarianten, mit ihren jeweiligen Vor- und Nachteilen:
Fußbänder erfassen in der Regel nur die Schrittzahl und bieten damit wenige Funktionen. Sie sitzen fest und sicher, sind aber häufig unbequem und zum Teil gefährlich anzubringen. Halsbänder sind in den Ställen häufig bereits zur Tiererkennung vorhanden. Die Sensoren sind für vielfältige Infos nutzbar. Nachteile sind Verluste und eine falsche Platzierung, die zu fehlerhaften Messwerten führt.
Ohrmarken bieten sich in Kombination mit der Tieridentifikation an, wenn keine Halsbänder im Einsatz sind. Sie sind unauffällig und leicht. Leider gibt es hier z.T. hohe Verlustraten. Sensoren im Netzmagen der Kuh sind eine sichere, verlustfreie und wartungslose Alternative. Sie werden wie Calcium-Boli eingegeben. Mittlerweile liefern diese Sensoren umfangreiche Daten – von der Bewegungsaktivität bis zum Wiederkauverhalten. Diese Sensoren sind allerdings immer nur einmalig nutzbar und die Entsorgung über den Schlachthof ist in der Diskussion.

Die Zukunft liegt in der Kombination von verschiedenen Informationen in einem Sensor, wie z.B. das Wiederkauen und die Aktivität. Mehr als ein bzw. zwei Sensoren an der Kuh sind nicht praxistauglich. Um sinnvolle Aussagen zum Tier machen zu können, eignen sich verschiedene Parameter.
Sinnvoll sind Datenbanken mit entsprechenden Schnittstellen für Tierarztpraxen, die die verschiedenen Sensordaten der Rinderbetriebe bündeln, strukturieren, bewerten und einheitlich darstellen.

In der Praxis ist vor allem das Erfassen einer deutlich veränderten Milchmenge ein sehr verlässlicher Indikator. Auch die Zellzahlmessung ist hilfreich, um Euterkrankheiten frühzeitig zu erkennen. Die Bewegungsaktivität gibt nicht nur Hinweise auf die Brunst, sondern ist auch eine gute Möglichkeit, um Krankheiten frühzeitig zu erkennen. Als Goldstandard zur Risikoanalyse und Krankheitsfrüh-erkennung gilt allerdings die Veränderung des individuellen Wiederkauverhaltens.

Motoren der Entwicklung von einzeltierbezogenen Sensoren sind vor allem automatische Melksysteme. Es ist einfach und wirtschaftlich, eine Einzelbox mit zahlreichen Sensoren auszustatten. Auch Schnittstellen zu externen Sensoren lassen sich hier gut installieren und sind immer stärker verbreitet.

Zur Kontrolle der Tiergesundheit werden beim Melken Parameter zur Eutergesundheit (wie Milchmenge, Leitfähigkeit oder Zellzahl) und Tiergesundheit (wie Milchtemperatur, Gewicht oder Bewegungsaktivität) erfasst. Klassisches Beispiel zur Nutzung von Sensordaten ist die Brunsterkennung. Systeme, die gleichzeitig tierindividuelle Bewegungsaktivität und Wiederkauaktivität erfassen, haben im Praxiseinsatz überzeugt. Sie erleichtern sowohl die Überwachung der Brunst als auch der Gesundheit. Abkalbe-Sensoren sollen die Tierkontrolle rund um die Geburt erleichtern. Dabei gibt es Pedometer zur Analyse des Verhaltens, Spangen mit Helligkeits- und Temperatursensor oder Sensoren zum Messen der Schwanzaktivität, dem Wiederkauverhalten bzw. der Körpertemperatur. Ein großer Unterschied zwischen den Systemen liegt im Zeitpunkt des Alarms. In Praxistests traten Differenzen von bis zu 20 Stunden auf, was zum Teil nicht praxistauglich ist.

Den Rinderhaltern und Tierärzten stehen in Zukunft viele neue Informationen bzw. Werkzeuge zur Überwachung der Tiere zur Verfügung.
Diese Techniken können helfen, Tiere mit Problemen zu finden, die sonst nicht oder deutlich später registriert worden wären. Diese Möglichkeiten sind gerade beim Fluchttier Rind wichtig, da es versucht, sich seiner Umwelt nicht als krank oder schwach zu zeigen. Die Digitalisierung ist kein Selbstläufer und steht am Anfang der Entwicklung. Die Systeme erfassen Daten, aber leiten nicht automatisch die richtige Empfehlung ab und handeln auch nicht selbstständig. Einzeltierbezogene Sensordaten machen eine Kuh nicht trächtig oder satt. Die Milcherzeuger müssen Daten auswerten und verknüpfen.

Die Vielzahl der technischen Überwachungsmöglichkeiten im Kuhstall ist leider durch die Vielzahl der Hersteller und Anbieter häufig nicht miteinander kompatibel. Das heißt, eine sinnvolle und notwendige Verknüpfung der Datenflut funktioniert oft nicht. Insellösungen stellen den Gesamtnutzen oft in Frage, für doppelte Dateneingaben fehlt die Zeit.

Zudem birgt die Datenerfassung und Verarbeitung auch die Gefahr des Datenmissbrauchs durch außerbetriebliche Interessen, ein Bereich dem in der Praxis bisher sehr wenig Beachtung geschenkt wird.

Entscheidend für den Erfolg einzelner Systeme ist v. a. auch die Benutzerfreundlichkeit. Milchviehhalter und Tierärzte müssen ohne aufwändige Rüst- oder Suchzeiten mit den Informations-systemen umgehen können und bei Problemen und Fragen einen guten Anbieterservice vorfinden.

Fazit:

Bei aller vorhandenen Technik und Digitalisierung darf aber das Rind als Lebewesen niemals aus den Augen verloren werden.

Digitale Technik darf nur helfen, ergänzen und unterstützen, aber niemals den direkten Kontakt zum Tier ersetzen.


Teilnahmegebühr:

  • 26 € (plus MWST)

Abonnement in dem alle Schulungen und sonstige kostenpflichtigen Inhalte enthalten sind:
  • 50 €/Jahr (plus MWST)

Systemvoraussetzungen: Rechner oder mobiles Endgerät mit Tonwiedergabe (Optimal. Manuelle Steuerung ist ebenfalls möglich.) und fakultativ Windows, OS, Linux, iOS oder Android mit Internetzugang und Browser. Bildschirmgröße: mind. 1000 Pixel breit und 690 Pixel hoch. Handzettel können im pdf-Format heruntergeladen und ausgedruckt werden.